Jesus Christ Superstar – Theater St.Gallen 

Die Idee, eine alte Geschichte in der Neuzeit anzusiedeln, ist nicht wirklich neu. Und oft macht es auch Sinn, denn viele Konflikte und Geschichten funktionieren heutzutage genau so, wie damals. Wie die Geschichte ja immer wieder zeigt, lernt der Mensch nicht wirklich dazu.

Auch die Geschichte von Jesus Christus wird immer wieder gerne erzählt, denn Menschen, die aus irgendeinem Grund die Massen begeistern und gegen das System aufbringen und somit „Ärger“ machen, wird es immer wieder geben.

„Jesus Christ Superstar“, Erstlingswerk von Andrew Lloyd Webber mit Texten von Tim Rice, behandelt die letzten 7 Tage im Leben von Jesus. Neu war damals, dass Judas so dargestellt wurde, dass man ihn und seinen Verrat verstehen konnte. Die Musik, die Texte und die Menschlichkeit der Figuren, die eine Identifikation ermöglichen, haben eine unglaubliche Intensität. Für Désirée und mich gibt es kein Musical, das uns tiefer berührt.

Bereits 2016 hatten wir eine Inszenierung live gesehen, damals mit Glenn Carter in der Hauptrolle. Und wir hatten geweint, so tief berührt hatte uns sein Spiel.

Aus diesem Grund waren wir sehr gespannt auf die Wiederaufnahme dieser Neuinszenierung im Theater St. Gallen, die wir gestern besuchen durften. Wir waren sehr gespannt, denn der Trailer wirkte sehr vielversprechend.

Eines vorweg: Selbst wenn diese Kritik nicht durchwegs positiv sein wird, will ich betonen, dass es nicht um die Darsteller geht, denn diese waren einfach nur grandios und haben wirklich ALLES gegeben. Und es wird auch definitiv nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir im Theater St.Gallen zu Besuch waren, da hier wirklich Musicaldarteller der Extraklasse verpflichtet werden

Ein gutes Musical erfüllt in unseren Augen mehrere Kriterien. Die Musik muss mitreissen und uns bewegen, die Geschichte sollte einen klaren Handlungsstrang aufweisen, nachvollziehbar sein und uns in eine andere Welt entführen und die Darsteller müssen alles zusammen bringen und die Geschichte leben. Wenn zwei Punkte erfüllt werden, ist das Musical gut, wenn alle drei erfüllt werden, grandios.

Bei dieser Inszenierung waren es zwei von drei Punkten. Musikalisch hielt man sich mehrheitlich an die Partitur, worüber wir sehr froh waren und die Live Band unter der Leitung von Robert Paul spielte grossartig und mitreissend. Eine solche Live Band ist ein Segen für jedes Musical.

Nach guter alter Sandwich-Metode kommt nun die Kritik: die Geschichte. Hier wies diese Inszenierung unserer Meinung nach einen grossen Schwachpunkt auf. Sie war ganz einfach nicht nachvollziehbar und machte teilweise keinen Sinn zu den Original-Songtexten.

Jesus war diesmal Leadsänger einer Rockband mit dem Namen „Jesus and the followers“, was eine ganz witzige Idee war. Nur konnte man beim besten Willen nicht nachvollziehen, warum dieser Jesus 1. die Massen so begeistern sollte und 2. für irgendjemanden ein so grosses Problem sein sollte, dass man ihn würde  umbringen wollen. Dieser Jesus war unsympatisch, gleichgültig, überheblich, unterschied sich aber nicht drastisch von so manchem „Star“ mit Grössenwahn. Ev. wäre es anders gewesen, wenn man mehr über die Anfänge dieser Rockband gewusst hätte, wenn man irgendwelche Informationen zu dieser Negativ-Entwicklung gehabt hätte (beim Original-Jesus kennen die meisten die Geschichte, weshalb ein Einstieg 7 Tage vor der Kreuzigung auch möglich ist) . Aber offensichtlich war diesem Jesus einfach der Ruhm zu Kopf gestiegen und die Drogen hatten ihr Übriges getan (grandios dargestellt!).

Bild: Andreas J. Etter via theatersg.ch

Aber wo war Gott oder irgendein höheres, nicht komplett egoistisches Ziel? Was war seine Botschaft? Bis zum Schluss und darüber hinaus blieb uns dies unklar. Ehrlich gesagt zerbrechen wir uns noch immer den Kopf darüber. Mittlerweile gehen wir davon aus, dass er ev. mit Drogen irgendwelche göttlichen Stimmen in seinem Kopf zum Schweigen bringen wollte.

Oder war das einfach sein Weg, den er gehen MUSSTE, weil er es wusste. Vielleicht hatte er auch einfach keine Lust mehr auf seinen Gott gegebene Starrum, und es gab einfach kein Zurück mehr, als ein mediale Hinrichtung. Keine Ahnung… Wäre Jesus ein Umweltaktivist gewesen, ein Guru, Livecoach, irgendwas, das die Welt zu einem bisschen besseren Ort machen oder einem Lebewesen helfen könnte, dann hätte man es nachvollziehen können, aber so fand man einfach keine Zugang zu Jesus. Dennoch holte Riccardo Greco alles aus dieser Rolle raus. Meine Erwartungen an ihn waren gross und wurden nicht enttäuscht. Wann immer es seine gleichgültige Rolle zu liess und er Gefühle zeigen durfte, waren diese intensiv. Bei „Gethsemane“ bestätigte sich wieder mal unsere Platzwahl in der 1. Reihe. Wenn ein Schauspieler sich so sehr in seine Rolle hineinfühlt, dass ihm eine Träne über die Wange läuft, dann hat er allen Respekt verdient. Von diesem Augenblick an hatte er uns, egal, wie merkwürdig seine Rolle angelegt war. Seine Stimme ist grossartig und ausdrucksstark und er spielt damit, wie auf einem Instrument. Sehr, sehr beeindruckend.

In dieser Inszenierung konnte sich aber definitiv JEDER mit Judas identifizieren. Dieser Jesus war ja auch wirklich nicht zu ertragen. Antonio Calanna füllte die Rolle des biblischen Verräters komplett aus. Seine grandiose Rock-Röhre holte alles aus seinen Solos raus.“Heaven on their minds“ stellte die Weichen gleich zu Beginn. Judas-Fans forever! Was für eine Energie! Die judas-typische, selbstzerstörerische Wut, die in Wahnsinn übergeht, verkörperte er mit Leichtigkeit. Auch sein Tod war grandios. Statt sich zu erhängen, richtete er sich selbst per Kopfschuss, perfekt inszeniert mit Hilfe der eingesetzten visuelle Technik. Wäre er als Judas nicht so stark gewesen, hätte sich die erste Hälfte des Stücks ziemlich in die Länge gezogen.

Bild: Andreas J. Etter via theatersg.ch

Ebenfalls ein echtes Highlight war Rico Salathe als Simon… oder Petrus? Beides? Wir waren uns nicht sicher, ob ein Schauspieler ausgefallen war und der eigentliche Petrus deshalb „Simon Zealotes“ sang oder das so gewollt war. Fakt ist: es war grandios! Rico Salathe machte mit seiner jugendlichen Lebensfreude und aufrührerischen Energie so richtig Stimmung. Aber ebenso bemerkenswert war seine schauspielerische Leistung, als er Jesus verleugnete. Sehr sympathisch, tolle Stimme, sehr ausdrucksstark.

In der Regel gibt es für uns einen oder maximal zwei Darsteller, die wirklich heraus stechen durch ihre Bühnenpräsenz, Stimme und Darstellung, aber in diesem Stück waren es einfach alle. Reginald Holden Jennings begeisterte uns als Herodes über alle Massen mit seiner Stimme und sein komödiantisches Talent. Daniel Dodd-Ellis als Kaiphas und Romeo Salazar als Annas brachten mit ihren einzigartigen und für diese Rollen perfekten Stimmen richtiges Broadway-Feeling ins Theater St. Gallen.

Nicht zu 100% überzeugt waren wir von Dorina Garuci als Maria Magdalena, was aber nicht an ihren darstellerischen oder gesanglichen Fähigkeiten lang (wobei uns ihre Interpretation von „I don’t know how to love him“ und „Could we start again please“ leider auch stimmlich nicht wirklich überzeugen konnte und noch weniger „Everything’s alright“ da Ihr das Liebliche und Beruhigende in der Stimme fehlt). Maria Magdalenas Figur hängt für uns direkt mit der Geschichte und Jesus zusammen. Und einen gleichgültigen, unsympatischen Jesus selbstlos zu lieben, wirkt einfach wie pure Dummheit. Zudem war es kaum möglich, eine Beziehung zu Jesus aufzubauen. Und so blieb Maria Magdalena in diesem Stück leider einfach eine Prostituierte, ohne eine Wandlung durchmachen zu können. Dieser Jesus konnte sie nicht „veredlen“.

Bild: Andreas J. Etter via theatersg.ch

Die Rolle des Pontius Pilatus ist eine der interessantesten im ganzen Stück, sie geht aber neben all den anderen spannenden, grösseren Hauptrollen oft etwas unter, da sie erst später im Stück auftaucht und auch nicht ganz so schillernd wie z.B. die des Herodes ist. Aber diesmal, war sie mitunter mein Highlight des Abends. Ok, das lag auch ein bisschen daran, dass ich Armin Kahl in dieser Rolle ziemlich toll fand. Sein Spiel war einfach grossartig und intensiv und sehr männlich. Ich war begeistert von seiner Stärke und Zerrissenheit, die er beide absolut glaubwürdig verkörperte. Ganz grosses Kino, wirklich 😍

Bild: Andreas J. Etter via theatersg.ch

Wo die Geschichte etwas wackelte, gewann diese Inszenierung durch den gezielten Einsatz von Video-Leinwänden, die den Einfluss von Social Media aufzeigten. Der rasante Anstieg der Likes beim Auspeitschen von Jesus oder die Einblendung der Zuschauer, bei seinem Prozess, waren ziemlich verstörend und zeigte ziemlich genau, wie sowas in der heutigen Zeit ablaufen könnte. Die Gesellschaft ist so süchtig nach anonymer Unterhaltung, die teilweise perverse Züge annimmt. So gesehen war Jesus‘ Tod ev. weniger Gottes Plan, sondern eine natürliche Folge. Ein Mensch wird in den Medien hochgejubelt und  dann aber auch schnell wieder fallen gelassen. Der Mensch bleibt dann auf der Strecke und wird zum Produkt, wenn er es zulässt.

In der zweiten Hälfte des Stücks hatte Riccardo Greco aka Jesus aber mehr Möglichkeiten, sein schauspielerisches Können, von welchem er zweifellos sehr viel besitzt, zu zeigen. Es gab viel zu Leiden für ihn…

Die komplette Absenz von Gott in diesem Stück (was natürlich auch gewollt sein könnte) nimmt dem ganzen aber doch die Essenz. Wie schon zu Beginn erwähnt, bietet die heutige Zeit auch Gurus, Live-Coaches oder Querdenkern eine Plattform und dies hätte sich auch für eine moderne Inszenierung angeboten, ohne eine höhere Macht komplett aus zu schliessen. Dies hätte der Geschichte, unserer Meinung nach, viel mehr Tiefgang gegeben. So fehlte einfach etwas. Aber wie immer ist dies eine rein subjektive Meinung.

Aber alles in allem waren wir sehr zufrieden und vor allem von den Darstellern sehr begeistert. Wir können diese Inszenierung wirklich sehr empfehlen und freuen uns schon auf unseren nächsten Besuch im Theater St. Gallen.

Bild: Andreas J. Etter via theatersg.ch
Bild: Andreas J. Etter via theatersg.ch
Bild: Andreas J. Etter via theatersg.ch

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