Im weissen Rössl – Der Operettenklassiker im Bernhard Theater

Vom 1.11. – 31.12.2023 zeigt das Bernhard Theater in Zürich „Im Weissen Rössl“. Die Inszenierung der Shake Company verspricht eine „entstaubte, gestriegelte und mit Pepp und Witz augezäumte“ Version des Operettenklassikers von 1930. Wir waren an der Premiere am 1. November mit dabei, um zu sehen, ob sich der Besuch lohnt.

„Im Weissen Rössl‘ am Wolfgangsee, dort steht das Glück vor der Tür…“. Oder wie wäre es mit „Es muss was Wunderbares sein, von dir geliebt zu werden…“? Vielleicht sagt euch aber auch diese Zeile etwas: „Im Salzkammergut, doa kammer gut lustig sein, wenn die Musi spielt, holdrio…“

Dies ist mit unter der Zauber von Weissen Rössl. Die Ohrwurm-Dichte dieses Stücks ist aussergewöhlich und wie es die Psychologie will, mag der Mensch Dinge (oder auch Personen), die ihm vertraut sind. Selbst, wer sich nicht als Operetten-Kenner oder Peter Alexander-Fan bezeichnet, wird nicht umhin kommen, eine gewisse Vertrautheit zu spüren.

Wahrscheinlich hätte Erik Charell, seines Zeichens Intendant des Grossen Schauspielhauses in Berlin, nicht zu träumen gewagt, welchen Siegeszug die von ihm produzierte Revueoperette antreten würde, genau so wenig wie Hans Müller, Chefdramaturg der UFA, der den als Vorlage dienenden Schwank zur Operette umformen sollte, oder Ralph Benatzky, der den Auftrag erhielt, aus historischer Musik (österreichische Nationalhymne, Volkslieder) und selbst komponierten Stücken ein Singspiel zu kreieren. Doch wie das Leben so spielt, war die erfolgreiche Uraufführung 1930 nur der Beginn eines andauernden Siegeszugs, was eventuell auch daran lag, dass bei Inszenierungen oder Adaptionen gerne neue, zeitgemässe Musikstücke hinzugefügt wurden, um es für das Publikum „gmögiger“ zu machen, wie z.B. bei der wohl bekanntesten Filmadaption von 1960 mit Peter Alexander in der Rolle des liebestrunkenen Chefkellners Leopold und Waltraut Haas als Rössl-Wirtin. Die zeitliche Neuansiedlung und das Hinzufügen von Swing- und Schlagerelementen sorgte eindeutig für mehr Akzeptanz beim jungen Publikum.

Nun aber zur aktuellen Inszenierung der Shake Company, die am Premieretag den mitreissenden Trailer des Stücks veröffentlichte und beim Publikum für Vorfreude sorgte und unmissverständlich klar machte, was zu erwarten war: ein knallbuntes, herrlich unterhaltsames Trachten-Spektakel.

Wer den Theatersaal des zauberhaften Bernhard Theaters betritt, fühlt sich beim Blick zur Bühne wie in einem Folklore-Puppenhaus. Die weiss- blau-karierten Wandelemente mit Edelweissblüten schreien Heimatfilm, ebenso wie die mit weissen Spitzenvorhängen bestückten Fenster. Der Berg im Hintergrund wirkt wie ein zuerst zerknülltes und wieder glattgestrichenes Stück Papier und der mit Glühbirnen bestückte, schräg hängende Bilderrahmen erinnert an einen Theater-Schminkspiegel. Wer sich der Bühne nähert, entdeckt, dass die hölzernen Stufen auf mit Kunstrasen verkleideten Elementen liegen. Es lohnt sich auch, eine Runde durch den Saal zu drehen (vielleicht lieber in der Pause, oder wenn noch nicht zu viele Besucher an den kleinen Tischchen sitzen, weil es dann doch etwas eng werden könnte), um sich den Platz der Livemusiker etwas näher zu betrachten. Flügel und Co wurden liebevoll auf einem weiss umzäunten Rasenstück platziert mit dem Hinweis, die Musiker nicht zu füttern. Ein mächtiger Gartenzwerg, Kunstblumen und eine Kuhgkocke vervollständigen das Arrangement. Dass hier mit Klischees gespielt und ein bewusst überzogenes Bild gezeichnet wird, ist nicht zu übersehen und setzt sich im Stück fort. Der Fokus liegt vollumfänglich auf der Unterhaltung des Publikums. Ein Hoch auf Roman Fischer, der mit seinem Bühnenbild die perfekte Atmosphäre für dieses Stück geschaffen hat.

So nimmt man es auch bei der zeitlichen Ansiedlung nicht ganz so genau bzw. verzichtet einfach komplett darauf. Man will es bunt und kitschig und da Trachten sowieso zeitlos sind, wird aus dem Weissen Rössl eine Blase, in der Kaiser Franz Joseph I. (genau, der Gatte von Sisi, gestorben 1916), der passenderweise seinen Signatur-Bilderrahmen miträgt, da er genau in dieser Form Teil jedes österreichischen Haushalts war, 50s-70s-Mode und Hoverboards problemlos koexistieren. Dennoch wirkt alles wie aus einem Guss und nicht nur Kostüm- sondern auch Maskenbild überzeugen mit viel Liebe zum Detail.

Doch worum geht es Im Weissen Rössl eigentlich?

Oberkellner Leopold liebt Josepha Vogelhuber, die Wirtin des „Weissen Rössls“, die wiederum ein Auge auf Stammgast und Berliner Rechtsanwalt Dr. Otto Siedler geworfen hat. Dieser findet aber mehr Gefallen an der jungen Ottilie Giesecke, die seinem Charme erliegt, was ihrem Vater aber ein Dorn im Auge wäre (wenn er es denn wüsste), da Siedler seinen Erzkonkurrenten Sülzheimer in einem Prozess vertreten und gegen ihn gewonnen hatte. Sigismund Sülzheimer, der Sohn des Unternehmers, hat sich auf der Anreise in Klärchen verliebt, was die Pläne von Vater Giesecke durchkreuzt, da er seine Tochter Ottilie auf Dr. Siedlers (nicht ganz ernst gemeinten) Rat hin mit Sigismund verkuppeln will.

Somit dreht sich alles um Liebesirrungen und -wirrungen im zauberhaften Salzkammergut Österreichs.

Susanne Kunz und Matthias Liener – Foto: ©Caro Koopman

Ein Stück, das von den intensiven, leidenschaftlichen, aber teilweise auch angespannten Beziehungen zwischen den Protagonisten lebt, tut gut daran, das Hauptaugenmerk auf die Wahl des Casts zu legen. Und hier hat die Shake Company einmal mehr ein gutes Händchen bewiesen und hervorragende Darsteller mit starker Persönlichkeit verpflichtet.

Als resolute Rössl-Wirtin, Josepha Vogelhuber, können wir Susanne Kunz auf der Bühne bewundern. Dass ihr das „Gastgewerbe“ liegt, hat sie bereits 2022 als Wirtin Trudi in Oh läck du mir bewiesen und auch im Weissen Rössl überzeugt sie als Leading Lady auf ganzer Linie, selbst, als „singende Schauspielerin“ (wie sie sich selbst bezeichnet) die neben einer Riege Berufssänger bestehen muss – und das mit Erfolg, was sie unter anderem mit ihrer Interpretation des Erzherzog Johann Jodels „Wo i geh und steh“ beweist. Mit traumtänzerischer Sicherheit wechselt sie zwischen knallharter Abweisung und schwärmerischer Sanftheit, ohne je den Fokus zu verlieren und sorgt beim Publikum für ein Wechselbad der Gefühle. Dass Susanne Kunz auch nach zwanzig Jahren eine feste Grösse der Schweizer Showbranche ist, gründet in ihrer Vielseitigkeit und Wandelbarkeit und der Bereitschaft, auch mal die Komfortzone zu verlassen. Alleine ihre Körpersprache und der österreichische Dialekt, den sie für diese Rolle verinnerlicht hat, sind perfekt. Ihre Liebe zum Detail, wenn es um die Ausarbeitung einer Rolle geht, macht sie auch für diese Produktion zum Hauptgewinn.

Susanne Kunz

Besonders gespannt waren wir auf die Performance von Matthias Liener als Oberkellner, Leopold Brandmeyer, der sein Herz an die Rössl-Wirtin verloren hat. Der ehemalige Wiener Sängerknabe, der unter seinem Künstlernamen Liener die österreichische Musikszene aufmischt, lässt nicht nur musikalische die Gender-Grenzen verschwimmen. Im Weissen Rössl weiss er sich aber elegant innerhalb der gesetzten Grenzen zu bewegen, was bedeutet, dass er Leopold mit seiner schillernden Persönlichkeit einfach gekonnt das gewisse Etwas und eine Extraportion Schmäh verleiht. Mit seiner expressiven, vollmundigen Stimme, die über Schmelz und eine Vielzahl an Farben verfügt, weiss er das Zürcher Publikum ebenso zu begeistern, wie mit seinem ausdrucksstarken, menschlichen Spiel. Bravo!

Matthias Liener

Victoria Sedlacek als Ottilie Giesecke ist die personifizierte, kokette Weiblichkeit. Mit ihrer Jugend und auffälligen Schönheit verzaubert sie ebenso wie mit ihrem klaren, lieblichen Sopran. Sie ist eine perfekte Vertreterin der neuen Operetten-Generation und besitzt ein warmes, nachhaltiges Strahlen, das berührt. Die Annäherung von Ottilie und Dr. Otto Siedler, der (grandios und herrlich charmant) von Flavio Dal Molin verkörpert wird, besitzt eine Intensität und Echtheit, die beim Publikum beinahe ein voyeuristisches Gefühl aufkommen lässt, egal ob beim Date im Kuhstall oder im Schwimmbad.. Überhaupt ist die Chemie zwischen diesen beiden schönen Mensche atemberaubend und weckt in manch einem den Wunsch, sich selbst frisch zu verlieben. Selbstredend, dass die Liebesduette wie Die ganze Welt ist himmelblau und Mein Liebeslied muss ein Walzer sein zu den Highlights des Stücks gehören.

„Gibt es einen sinnlicheren Ort für ein Rendez-vous? Muh!“

Leopold zu Piccolo auf Locationsuche
Flavio Dal Monin und Victoria Sedlacek – Foto: ©Caro Koopman

Was wäre ein folkloristisches Stück ohne einen guten Jodel? Genau… Und Yael de Vries, als Postfräulein Kathi, ist die perfekte Wahl für diesen Part. Charmant und stimmgewaltig sorgt sie mit „Nach em Räge schiint Sunne“ (der bekanntest und erfolgreichete Titel des ersten Schweizer Hit-Komponisten, Artur Beul) für ein bisschen Lokalkolorit, ebenso wie Fabio Romano mit seinem zu Herzen gehenden „Lueget, vo Bärgen und Tal“ (ein Schweizer Abendlied von 1822), das den Höhepunkt seiner Verkörperung des bescheidenen, reisefreudigen Privatgelehrten Dr. Hinzelmann markiert. Und hier beantwortet sich auch die Frage, ob die Shake Company Hand an die Songlist legt und Anpassungen vornimmt.

„Sparen bis die Reisekasse voll ist. Und wenn das Geld einmal nicht mehr reicht, machen wir Musig.“

Dr. Hinzelmann
Yael de Vries – Foto: ©Caro Koopman

Sollte dies ein Roman werden, schrieben wir von Herzen gerne eine ausführliche Abhandlung über jeden einzelnen Darsteller, was aber leider den Rahmen sprengen würde. Wir würden über Mario Gremlichs herrlich poltrige und köstlich unangenehme Verkörperung von Wilhelm Gieseke und seinen grandiosen Berliner Dialekt schreiben und Nico Jacomets komödiantisches Talent und Gespür für das richtige Timing loben. Wir würden aber auch über Marianne Curns Fähigkeit, einen doch sehr eignen Charakter, wie den der Kathi Hinzelmann glaubhaft zu verkörpern, schreiben und auch das herrlich verschrobene Zusammenspiel mit Reto Mosimann alias schöner Sigismund Sülzheimer nicht unerwähnt lassen.

Foto: ©Caro Koopman

Wer aber tatsächlich noch kurz hervorgehoben werden muss, ist Lavdrim Xhemaili, der so viele unterschiedliche Rollen verkörperte, dass man Im Weissen Rössl schon beinahe als seine eigene One Man Show bezeichnen könnte. Ob Oberförster, Reiseführer, Bademeister, Kellner oder Spezial-Kuh (das Kuh-Quartett war übrigens einer unserer Höhepunkte), Lavdrim Xhemaili sorgt für ein Highlight nach dem anderen und ein Grossteil der Lacher geht auf sein Konto. Ein solch organisatorisch herausforderndes Programm (man stelle sich nur mal die vielen Kostümwechsel vor) mit dieser Gelassenheit und Nonchalance zu bewältigen, ist preisverdächtig.

Lavdrim Xhemaili

Eine besonders spannende Idee ist auch, die Rolle des Kaisers/der Kaiserin mit alternierenden Überraschungsgästen zu besetzen. Mögliche Darsteller sind Viktor Giacobbo, Christian Jott Jenny, Hanna Scheuring und Kamil Krejčí. Da bleibt es spannend! Wobei dieses Stück so oder so unglaublich viele geniale Einfälle vereint, weshalb man keinen Moment den Blick von der Bühne wenden darf, um ja nichts zu verpassen.

Fazit

Ein Mal mehr beweist die Shake Company, dass sie den Finger am Puls der Zeit hat und genau weiss, was ihr Publikum wünscht. Im Weissen Rössl vereint eingängige Melodien mit grossartigen Revue- und Tanznummern. Mit viel Kreativität, Herz und einem Augenzwinkern wurde dem charmanten, aber schon etwas in die Jahre gekommene Stoff ein neues, fröhliches, Gewand verpasst und mit hochkarätigen Darstellern aus der österreichischen und schweizerischen Musical- und Operetten-Szene, die genau wissen, wie sie das Publikum um den Finger wickeln, auf die Bühne gebracht. Was kann man sich mehr wünschen?


Produktion: Shake Company/ Regie: Martin Schurr / Musikalische Leitung: Andreas Binder, Peter Freitag / Bühnenbild: Roman Fischer / Lichtdesign: Christian Joller / Kostüme: Kathrin Kündig / Maske: Sandra Wartenberg / Tondesign: Tim Fensä

Victoria Sedlacek
Foto: ©Caro Koopman
Matthias Liener und Mario Gremlich – Foto: ©Caro Koopman
Les Lynch aka Charlene & Désirée
Foto: ©Caro Koopman
Reto Mosimann + Kaiser Franz Joseph I.
Roman Fischer und Flavio Dal Molin
Foto: ©Caro Koopman
Marianne Curn
Lavdrim Xhemaili
Fabio Romano und Nico Jacomet
Victoria Sedlacek und Lavdrim Xhemaili – Foto: ©Caro Koopman
Foto: ©Caro Koopman
Susanne Kunz – Foto: ©Caro Koopman
Reto Mosimann – Foto: ©Caro Koopman

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