Secondhand Orchestra: „FREDDIE – Die Mundartshow“

Wenn man mit dem ganzen Saal lauthals „Mir sind di Beschte, my Friend“ singt und den Schweizerdeutschen Text zur Melodie von „We are the Champions“ wie beim Karaoke hochkonzentriert direkt von der Leinwand abliest und sich dann im gleichen Moment über die Worte, die man soeben gesungen hat, kaputt lacht, dann hat man die letzten beiden Stunden bei „FREDDIE – Die Mundartshow“ verbracht, wie wir am vergangenen Samstag im Theater 11 in Zürich.

Es gibt Songs, die kennt jeder, völlig unabhängig von Alter, Geschlecht oder Demografie. Diese Songs überdauern Zeiten und jede darauf folgende Generation saugt sie quasi mit der Muttermilch auf. Es sind Songs, deren Melodien nicht mehr aus dem Kopf gehen und mit Ereignissen  und Gefühlen untrennbar verknüpft werden und Texte, in denen man sich wiedererkennt. Denn geschrieben wurden sie von  Menschen, normalen Menschen wie dir und mir. Bei Queen ist dies z.B. der Fall, wobei wahrscheinlich kaum einer auf die Idee käme, Freddie Mercury, Leadsänger und Hauptkomponist der Band Queen, als „normalen Menschen“ zu bezeichnen. Selbstdarsteller, Genie, Exzentriker und, ja, Legende trifft es da schon eher.

Aber bei dieser Show geht es neben Freddie, den Künstler vor allem auch um Freddie, den Menschen. Denn das Secondhand Orchestra schafft es, Freddie und seine Songs dem Publikum ganz nahe zu bringen.

Das Secondhand Orchestra

Bestehend aus Roman Riklin, Daniel Schaub, Adrian Stern und Irene Brügger aka Frölein Da Capo, vereint das Secondhand Orchestra vier äussert kreative Schweizer Ausnahmekünstler und Multiinstrumentalisten. Roman Riklin und Daniel Schaub hatten uns im Dezember schon als Duo „Riklin & Schaub“ (hier geht es zur Kritik der Show WAS WÄRE WENN) begeistert und waren der Grund, warum wir uns überhaupt recht kurzfristig Tickets für die Show besorgt hatten.

Schon 2017 schlossen sich die vier Künstler zum Secondhand Orchestra zusammen, um das „beste Album aller Zeiten“, nämlich „Stg. Pepper“ von den Beatles mit schweizerdeutschen Texten und überraschenden Arrangements neu aufleben zu lassen – mit grossem Erfolg. (Und wir haben es verpasst…)

Als das „Theaterwunder des Herbst 2021“ folgte dann „FREDDIE – Die Mundartshow“. Nach 50 ausverkauften Shows in der ganzen Schweiz wurde das Programm für einige wenige Konzerte nochmals aufgenommen, damit auch diejenigen, die vielleicht erst bei den Swiss Comedy Awards 2022, als das Secondhand Orchestra in der Kategorie „Ensemble“ ausgezeichnet wurde, auf sie aufmerksam geworden waren, noch die Gelegenheit hatten, dieses Kunstwerk zu bestaunen.

Die Dernière feierte das Quartett dann am 7. Januar 2023 im Theater 11 in Zürich und wir waren an der Zusatzvorstellung um 14.30 Uhr, der zweitletzten Vorstellung, da wir da wenigstens noch Plätze in der 4. Reihe gekriegt hatten (und wieder mal mussten wir merken, dass für uns nur die erste Reihe in Frage kommt).

Aber nun zu…

FREDDIE

Diese ganz spezielle Hommage zeichnet auf parodistische Weise ein sehr persönliches Bild des 1991 an Aids verstorbenen Leadsängers der britischen Rockband Queen, wobei „persönlich“ sowohl bedeutet, dass Freddie Mercury sehr menschlich dargestellt wird, aber auch, dass man das Gefühl kriegt, einiges über die vier Musiker und ihre Schnittstellen zu den berühmten Queen-Songs zu erfahren und dabei hatten die meisten Zuschauer mit Sicherheit einen oder mehrere „Genau!“-Momente.

Queen-Shows gibt es ja so einige und finden auch immer ihr Publikum. Sei das die Original-Queen-Formation, natürlich ohne Freddie, aber schon eine ganze Weile erfolgreich mit Adam Lambert on Tour, oder eine der diversen Tribute-Bands (sucht auf Ticketcorner einfach mal nach QUEEN – es ist erstaunlich), es gibt für jeden was. Was aber alle Tribute Bands und Shows gemeinsam haben: Queen und Freddie werden so gut wie möglich nachgeahmt. Besonders bekannt ist hier sicher Marc Martel, der gesanglich teilweise von Freddy Mercury kaum zu unterscheiden ist (Wer ihn live erleben möchte, kann dies am 25. Oktober 2023 in The Hall bei One Vision of Queen).

Ganz anders beim Secondhand Orchestra. Weder Dani Schaub noch Roman Riklin stolzierten im weissen Trägershirt und mit halbem Mikrofonständer über die Bühne, nein, alle vier Musiker kamen ganz leger mit Jeans und schlichtem Oberteil, als ob sie sich nicht mal grossartig für ihren Auftritt umgezogen hätten. Alles ganz einfach, ganz simpel, ganz echt. Genau so echt wie ihre Musik.

Die Musik… Oh ja die Musik

„FREDDIE – Die Mundartshow“ ist ein sehr gelungener Mix aus den berühmtesten Queen-Welthits, die jeder kennt und liebt mit einigen sehr gekonnt dazwischen gesetzten Eigenkompositionen, die einen bestimmten Bezug zu Freddie oder den Songs von Queen haben. So wird in „Spange“ die Wichtigkeit einer Zahnspange besungen. Drei Mal dürft ihr raten, wie dieser Song seinen Weg in die Show geschafft hat 😉 (hier hatte ich, Charlene, übrigens einen Aha- Moment, denn auch ich war eines jener bedauernswerten Kinder). Und in „Wenn de Freddie nonig gstorbe wär“ setzt sich das Secondhand Orchestra damit auseinander, wie Freddie Mercury heutzutage wohl aussehen und was karrieretechnisch noch laufen würde. Hier sorgt der Lokalkolorit für besonders viele Lacher, wobei man fast nicht weiss, ob es angebracht ist zu lachen, weil man sich ein bisschen böse dabei fühlt (aber auf eine gute Art böse und irgendwie ehrlich). Und von diesen speziellen Momenten, wenn man einen bestimmten Song hört, der einem alle Härchen aufstellt und in „Hüehnerhuut“ von Frölein Da Capo besungen wird, gab es auf jeden Fall auch eine Menge.

Alle eigenen Songs könnt ihr übrigens auf Spotify unter „Freddie – Eusi Songs“ anhören. Es hat echte Ohrwürmer dabei, wie z.B. „Regula“.

-> Ob die eigenen Songs auf wahren Erinnerungen der Musiker beruhen, können wir nicht sagen (wobei das altersmässig bei „Watc Trauma“ kaum möglich wäre…), aber dennoch stellt man sich gerne den kleinen Roman vor, der sich seinen Klassenschwarm nicht vor der Nase wegschnappen lassen will und deshalb beim Wunschkonzert im Radio anruft und sich einen Song wünscht, den er seiner Angebeteten widmet, wie er es in „Wunschkonzert“ besingt, auch wenn dies grausam in die Hose geht.

Die legendären Queen-Songs kamen in neuen, überraschenden und wirklich grossartigen Arrangements daher. Wir sind unglaubliche Fans von Mehrstimmigkeit und es war ein wahrer Ohrenschmaus, sowohl gesanglich als auch instrumental. Da jeder der Künstler eine sehr eigene Stimme mit Wiedererkennungswert hat, war es wirklich faszinierend, sie gemeinsam zu hören.

Wir wünschten, wir hätten während des Konzerts Notizen machen können, um wirklich auf die einzelnen Songs einzugehen, deshalb hatten wir uns vorgenommen, uns die Reihenfolge zu merken, aber ehrlich gesagt war’s dann schon bei „Don’t stop me now“ vorbei und das war so ziemlich der erste Song. Wenn’s um Musik geht, nimmt das Gefühl einfach Überhand. Und es gab so unglaublich viel zu sehen, zu hören und zu staunen.

Die Übersetzungen

Mit Covers, Neuverfilmungen etc. ist es ja immer so eine Sache. Besser als das Original wird es selten. Und bei Meisterwerken wir „Bohemian Rhapsody“ oder „Radio Gaga“ gibt es so viele eingefleischte Fans, dass man mit Kritik rechnen muss. Natürlich gibt es auch immer ein paar Fans, aber in der Regel sind die Kritiker lauter.

Wie gut, dass das Secondhand Orchestra gar nie den Anspruch hatte, irgendwas „besser“ zu machen, sondern lediglich, mit ihrem ganz eigenen Stil, diese grandiose Musik und Freddie selbst zu feiern. Auch wenn die Musik dieselbe war, vielleicht mit ein paar anderen Instrumenten und Eigenarten, konnte man sich den bekannten Klängen doch vertrauensvoll hingeben und sich ganz auf die Übersetzung konzentrieren. Und um ehrlich zu sein, waren wir fast etwas erstaunt, wie nahe diese teilweise am Original blieben und doch funktionierten. Natürlich war hier wieder Roman Riklin am Werk.

Das Schöne an schweizerdeutschen Texten ist ja (wie schon oft erwähnt), dass sie jeder versteht (ok, jeder, der Schweizerdeutsch spricht) und viel zugänglicher sind. Selbst, wenn man wirklich gut Englisch spricht, gibt es sicher Textpassagen, die man einfach mal so mitsingt und sich keine Gedanken über jedes einzelne Wort macht, solange man den Sinn erfasst hat, ausser natürlich, man befasst sich bewusst mit einem Lied. Wenn man hingegen einen schweizerdeutschen Text hört, versteht man alles bis ins Detail (ausser vielleicht bei „Bohemian Rhapsody“, aber auch dieser Song wurde uns Schritt für Schritt erklärt und auf einmal ergab alles Sinn).
Was wir uns bei so bekannten Song als relativ schwierig vorstellen, ist, die Balance zu finden zwischen Übersetzungen, die möglichst nahe am Originaltext bleiben, um diejenigen, die die Songs in- und auswendig kennen, nicht vor den Kopf zu stossen, die aber dennoch nicht holprig daher kommen. Der Rhythmus muss stimmen, die Anzahl Silben ebenfalls und auch die Reime müssen an der richtigen Stelle sein, um dem Zuhörer das Gefühl zu geben, dass es sich RICHTIG anhört (der Mensch ist halt ein Gewohnheitstier). – Aber genau dies ist ja die Spezialität von Roman Riklin und auch seine Leidenschaft, was man immer wieder merkt.

Auf jeden Fall wird „Bicyle Race“ für uns jetzt immer „Rennvelo“ bleiben und uns ein Lächeln ins Gesicht zaubern.

Audiovisuelle Beiträge und Specials

FREDDIE – Die Mundartshow begeistert nicht nur durch die wunderbare Musik, sondern überzeugt auch durch das Drumherum. Da sich auf der Bühne ausser den Künstlern nicht viel mehr befindet, als eine Menge Instrumente (die auch alle zum Einsatz kommen, was uns erneut völlig überwältigte), gibt es noch viel Raum für Kreativität. Die Leinwand wird rege genutzt, um Gehörtes zu visualisieren oder zu untermalen. Radiolegene FM François Mürner fungiert als Chronist, der es mit der Wahrheit nicht ganz so ernst nimmt und steuert, wie schon bei „Sgt. Pepper“ audiovisuelle Beiträge bei.

Ebenso grossartig und kreativ ist auch die Bastelkunst von Frölein Da Capo, welche wir z.B. in „Rennvelo“ bewundern durften und für jede Menge „Jööööhs“ im Publikum sorgte. Überhaupt beinhaltete dieses Programm so unglaublich viele liebevolle Ideen, die man am liebsten alle aufzählen würde. Aber irgendwann muss so ein Show-Bericht ja auch enden. Aber ihr merkt, dass wir wirklich begeistert waren.

Auf gar keinen Fall unerwähnt bleiben darf aber der Gitarrenbau live auf der Bühne durch Adrian Stern während des „Gitarrenbausong“s. Was für eine unglaublich aufregende Nummer! Auch die Zaubershow von Roman Riklin und Daniel Schaub während „It’s a kind of magic“ sorgte für frenetischen Applaus. Zu diesem Zeitpunkt war das Publikum aber schon so dermassen im Banne der Show, dass wir einfach alles feierten, was uns geboten wurde. Da kann man wirklich nur den Hut ziehen. Das Publikum haben sie definitiv im Griff, alle vier.

Was uns in Erinnerung bleiben wird

Während der Show hatten wir absolut keine Chance, das Gesehene und Gehörte zu verarbeiten, weil ein Highlight das nächste jagte und man nichts verpassen wollte. Wir besprechen die Show noch immer, wann immer wir Zeit finden, weil einer von uns immer wieder etwas einfällt, das ihr noch aufgefallen war. Und genau diese Lebendigkeit und Vielfältigkeit ist es, die in Erinnerung bleibt. Wir sprechen von Daniel Schaubs Version von „I’m going slightly mad“, seiner wunderschönen, einschmeichelnden Stimme und der grandiosen, wenn auch absolut einfachen visuellen Untermalung – eine Nummer, die uns völlig in den Bann gezogen hat. Wir sprechen von Roman Riklins grenzenloser Kreativität, Energie und Leidenschaft, die so ansteckend wirkt, dass man kaum ruhig sitzen blieben kann. Die Art und Weise, wie er Musik fühlt, ist einfach nur faszinierend (Roman Riklin am Cello… Oh mein Gott!). Wir sprechen von Adrian Sterns Lebendigkeit und Leichtigkeit und seiner unverwechselbaren Stimme („Regula“ kriegt man einfach nicht mehr aus dem Kopf, man kann machen was man will, aber irgendwie will man es gar nicht…). Und wir sprechen von Frölein Da Capos Hingabe bei „Hüehnerhut“, ein Song, der auslöst, was er beschreibt und richtig elektrisiert, live noch mehr als beim Hören der Aufnahme.

Und so traurig es ist, dass ihr, die ihr diesen Bericht lest, diese Show nicht mehr besuchen könnt, da am 7. Januar ja bereits der letzte Vorhang gefallen ist, so schön ist es, zu wissen, dass es nicht an „Freddie“ lag (ok, keine Frage, die Musik von Queen ist und bleibt legendär, berührend, wunderschön und so erhaben), sondern vor allem an diesen vier grossartigen Künstlern. Und noch schöner ist es, zu wissen, dass sie 2024 bereits ein neues Programm auf die Bühne bringen werden, das wir uns ohne Frage früher anschauen werden und ihr hoffentlich auch.

Hier noch mal der Trailer zur Show:

Und hier die Websites der Künstler, um auch über ihre eigenen Tätigkeiten auf dem Laufenden zu bleiben:

Riklin & Schaub: https://www.riklinschaub.ch/
Roman Riklin: https://romanriklin.com/
Adrian Stern: https://www.adrianstern.ch/
Frölein Da Capo: https://www.einfrauorchester.ch/

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